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„Die Zukunft des ÖPNV wird autonom sein“

KVV-Geschäftsführer Dr. Alexander Pischon – Foto: © ARTIS – Ulli Deck.

Herr Dr. Pischon, alle reden derzeit vom autonomen Fahren, doch meist geht es dabei allein um den motorisierten Individualverkehr. Doch welche Auswirkungen wird diese technische Entwicklung eigentlich auf den öffentlichen Nahverkehr haben?

Die Digitalisierung der Mobilität wird den ÖPNV radikal verändern und zu ganz neuen Mobilitätskonzepten, Geschäftsmodellen und Spielregeln führen. Die traditionellen Grenzen zwischen Individualverkehr und öffentlichem Nahverkehr werden sich dabei auflösen. Langfristig könnten autonome Fahrzeuge den öffentlichen Verkehr noch näher zu den Menschen bringen und ihre individuellen Mobilitätsbedürfnisse befriedigen, etwa mit Ride-Sharing oder On-Demand-Angeboten – losgelöst von starren Fahrplänen oder festen Routen.

Wo könnten denn autonome Fahrzeuge im ÖPNV zum Einsatz kommen?

Beim KVV könnten wir uns autonom fahrende Fahrzeuge als gute Ergänzung zu unserem bestehenden, leistungsstarken ÖPNV-Angebot vorstellen. Gerade für den ländlichen Raum oder zu Tageszeiten, in denen ein öffentliches Nahverkehrsangebot mit weiten Entfernungen und wenigen Nutzern derzeit wirtschaftlich noch nicht darstellbar ist, ergeben sich hier ganz neue Perspektiven. Mit unserem Projekt regiomove arbeiten wir derzeit bereits an der Vernetzung bestehender und neuer Mobilitätsformen. Mit einem guten Angebot könnten sich mehr Nutzer für den attraktiven und umweltfreundlichen ÖPNV gewinnen lassen. Aber auch in urbanen Stadtquartieren könnten solche autonomen Fahrzeuge zum Einsatz kommen, beispielsweise als Zubringer zum Schienenverkehr auf der „letzten Meile“.  

Der Karlsruher Verkehrsverbund beteiligt sich am Testfeld für autonomes Fahren Baden-Württemberg. Warum war es dem Land Baden-Württemberg bei der Vergabe des Testfeldes wichtig, den ÖPNV besonders zu berücksichtigen?

Das autonome Fahren wird kommen. Darüber sind sich inzwischen weltweit nahezu alle Experten einig. Und auch die Zukunft des ÖPNV wird autonom sein. Das Land Baden-Württemberg und der KVV wollen diesen Innovations-Prozess aktiv mitgestalten. Der KVV ist der erste Verkehrsverbund in Deutschland, der an einem solchen Projekt beteiligt ist. Uns eröffnet sich die große Chance mit diesem Testfeld, den KVV zu einem Mobilitätsverbund weiterzuentwickeln, um perspektivisch unseren Kunden mit intelligenten Lösungen ein Dienstleistungsangebot machen zu können, das ihren individuellen Ansprüchen an die Mobilität der Zukunft entspricht.

Welche genaue Rolle hat der KVV beim Testfeld-Projekt?

Als Betreiber des Testfeldes ist der KVV vor allem für die administrative Organisation des Testfeldbetriebes zuständig. Der KVV vermarktet das Testfeld, schließt die Nutzungsverträge mit den Kunden inklusive Versicherungspolice und koordiniert die Zeitfenster für die Testfahrten.

Wird der KVV selbst eigene autonome Fahrzeuge testen?

Im nächsten Jahr wollen wir mit unseren Konsortialpartnern das EVA-Shuttle-Projekt auf die Straße bringen. Hierbei geht es um elektronisch vernetzte und autonom fahrende Minibusse, mit denen in einem Stadtquartier ein neuartiges Mobilitätkonzept entsteht.

Wie sieht dieses Konzept aus?

Die Busse sollen vor allem dafür eingesetzt werden, im Zubringerverkehr die so genannte „letzte Meile“ zu überbrücken. Das heißt beispielsweise, den Fahrgast nach seinen individuellen Bedürfnissen von der Haustür zur nächstgelegenen Straßenbahnhaltestelle zu bringen oder von dort direkt zurück nach Hause. Mit dem Pilotbetrieb wollen wir wichtige Erkenntnisse über die Einsatzmöglichkeiten solcher Mini-Busse gewinnen und gleichzeitig die Akzeptanz dieser Fahrzeuge bei den Bürgern und ÖPNV-Nutzern testen.

Wann wird man im Karlsruher ÖPNV flächendeckend autonom fahrende Busse sehen können?

Genaue Prognosen sind natürlich sehr schwierig, das ist immer ein Blick in die berühmte Glaskugel. Rein technisch betrachtet ist die Entwicklung bereits auf einem sehr guten Weg. Ich gehe davon aus, dass wir in den nächsten 15 bis 20 Jahren Systeme sehen werden, bei denen ein wesentlicher Teil des Fahrens autonom bewältigt wird.

Welche Hürden sind bis dahin noch zu nehmen?

Die Entwicklung der letzten Jahre hat gezeigt, dass man da technisch schon auf einem sehr guten Weg ist. Aber es sind auch noch Fragen zu ganz anderen Themenfeldern zu beantworten, etwa zu Haftungsrisiken, Datenschutz und ethischen Problemstellungen. Da müssen noch Lösungen durch die Politik erarbeitet werden. Und letztlich muss natürlich auch die gesellschaftliche Akzeptanz für autonome Fahrzeuge gegeben sein.